B!LIVE, Bachfest Leipzig 2019, erster Teil (Deutsche Textfassung)



Wir kennen sie fast alle. Die Thomaskirche, mit ihrer charakteristischen weißen und roten Gewölbe; mit dem mit einer Kupferplatte bedeckten Grab von Johann Sebastian Bach, mit Thomanerchor, einer bereits seit 807 Jahren ununterbrochen arbeitenden Chorinstitution. Und weiter draußen, dazugehörend: das Denkmal des Komponisten direkt daneben, und das Gebäude gegenüber: Bosehaus - heutzutage das Zentrum vom Bachs Universum, Sitz und Zuhause vom Bach-Archiv (wissenschaftlichem Institut zu Studien und Dokumentation von Leben und Werk des Leipziger Kantors) sowie auch vom Bach-Museum, das wahre Schätze verbirgt, einschließlich des Originals von meist bekanntem und mehrmals kopiertem Porträt von Elias Gottlob Haussmann, dem Gemälde, das unsere Vorstellung vom Bachs äußerem Erscheinungsbild prägt.

Leipzig. Bach ist hier an Ihren Fingerspitzen. Die Nähe von Bach ist echt und bewegend. Das Bewusstsein, an demselben Ort zu stehen, wo er schlenderte, spielte, dirigierte und schuf, rieft Gefühle von ungeheurer Intensität hervor. Als ich zum ersten Mal auf dem Thomaskirchhof saß und die Thomaskirche und Bachs Denkmal von weitem betrachtete, war ich für einige Minuten nicht zustande, Trän der Gefühle aufzuhalten.

In Leipzig ist Bach allgegenwärtig. Bei jedem Schritt erinnert die Stadt daran, dass Bach ist Leipzig und Leipzig ist Bach. Man wird an diese wichtige Beziehung erinnert, ohne jedoch geblendet zu werden. Bachs Rückrufe sind auffällig aber in den allermeisten Fällen auch bescheiden, geschmackvoll und elegant. So war es und bleibt es weiter. Das älteste Bach-Denkmal in der Welt, von Felix Mendelssohn Bartholdy im Jahre 1843 gestiftet, ist sehr schön, aber so unauffällig, dass man es beim Spaziergang durch den Park am Dittrichring unbemerkt verpassen kann.

In der Nikolauskirche, der zweiten, in der Bach für die Musik verantwortlich war und in der er 1724 die Uraufführung der Johannespassion leitete, nur eine kleine weiße Marmorbüste gedenkt an den Komponisten, und eine Rose ehrt ihn da. Eine. Im Bach-Museum stehen seine von Kindern aus wiederverwertbaren Materialien gebasteltete Büsten auf dem Ehrenplatz. Bach aus dem Recycling. Wunderbar.

Meine erste Reise nach Leipzig war eine Reise zu meinem Meister und zum Festival seiner Musik . Bachfest Leipzig. Bach gewidmete Feste finden seit 1904 in Leipzig statt. Für lange Zeit wurden sie unregelmäßig und unter verschiedenen Namen veranstaltet. Seit 1999 wird das größte Bach-Musikfest der Welt von Bach-Archiv organisiert, ab 2018 unter der Leitung von Michael Maul. Jedes Fest wird nach einem bestimmten Thema aufgebaut. Das Motto des Bachfestes Leipzig 2019 lautete »›Hof-Compositeur.‹ Bach.« 

Johann Sebastian Bach war über 15 Jahre mit fürstlichen und königlichen Höfen verbunden. Zuerst beim Herzog Wilhelm Ernst in Weimar, dann als Kapellmeister beim Fürst Leopold in Köthen. Schon als Kantor der Thomaskirche nahm er Ehrentitel von den Adligen zeitgenössischer Welt an. Herzog Christian von Sachsen-Weissenfels ernannte ihn 1729 „Fürstlich sächsisch-weißenfelsischen Hofkapellmeister von Haus aus“, also - wie wir jetzt sagen würden - konnte Bach das Amt aus der Ferne ausüben. 1736 erhielt Bach wiederum von Augustus III den Titel "Königlich Polnischer und Kurfürstlich Sächsischer Hof-Compositeur".

„Bachs Wirken an den Höfen und für die Regenten führte zu vielen und vor allem vielseitigen Kompositionen: prachtvolle Festmusiken, virtuose Instrumentalwerke in den unterschiedlichsten Stilen und Gattungen und innovative Kirchenmusik. Kurz: Die Werke des »Hof-Compositeurs« Bach bestechen durch ein ausgesprochen breites Spektrum Material, um daraus ein vielfältiges Bachfest-Programm an Formen ideales zu formen"(Zitat: Programmheft Bachfest Leipzig 2019)

Zum Bachfest in Leipzig gehören neben hervorragenden Konzerten auch andere Veranstaltungen: Performances, Konzerte im Freien, Vorträge, Spaziergänge, Diskussionsrunden, Führungen, Abendessen mit Künstlern. In diesem Jahr haben die Veranstalter den Festivalgästen über 150 Veranstaltungen angeboten. Das Festival wurde von über 73.000 Musikliebhabern aus über 40 Ländern besucht. Dies ist eine große organisatorische Herausforderung, die die Organisatoren voll und ganz gemeistert haben.

Das Bachfest Leipzig ist auf den Straßen präsent und sichtbar. In der Innenstadt, in einem großen Zelt, befindet sich ein Festivalbüro, in dem man alle Informationen zum Festival erhalten und Gadgets, Bücher, CDs kaufen beziehungsweise gratis mitnehmen kann. In der Nähe von den  Konzert- und Veranstaltungsorten sind immer Festmitarbeiter und Freiwilligen in schwarzen Festival-Shirts zu sehen. Festivalbanner sind in vielen Teilen der Stadt verteilt. Das größte, das ich gesehen habe, befand sich in der Haupthalle des Hauptbahnhofs, der selbst ein beeindruckendes Bauwerk darstellt. Es ist die größte Kopfstation in Europa - 23 Bahnsteige, 83.000 Quadratmeter, mehr als 150.000 Passagiere pro Tag. In Leipzig ist Bachname zu einem echten Industriezweig geworden: Süßwaren, Gastronomie, Verlagswesen, Spielzeug, Bekleidung ... Es ist jedoch gelungen, die Mäßigung zu bewahren und nicht in Kitsch, Billigkeit und Kommerzialisierung zu verfallen.

Bachfest Leipzig bietet auch die beste Gelegenheit, umgebende Orte kennenzulernen, mit denen der Komponisten verbunden war. Dieses Jahr brachten Sonderbusse Festgäste von der Thomaskirche unter anderen nach Freiberg, Burgk, dann nach Köthen, wo Bach unmittelbar vor seiner Ankunft nach Leipzig arbeitete; nach Naumburg mit dem auf UNESCO-Liste des Kulturerbes eingetragenen Dom; nach Zschortau, wo Bach den Orgelbau beaufsichtigte; nach Pomßen, wo man sich ein Konzert auf den ältesten erhaltenen Orgel Sachsens anhören konnte, auf der Bach bei einer Trauerfeier im Februar 1727 spielte.

Mir selbst ist es gelungen, zusammen mit dem Bachfest einen Ausflug nach Weißenfels zu unternehmen, zum Neu-Augustusburg, für dessen Herzog Christian von Sachsen-Weißenfels Johann Sebastian Bach unter anderem die Jagdkantate, die Schäferkantate und »O angenehme Melodei«  geschrieben hat. Die Schlosskapelle macht einen großen Eindruck. Sie ist sehr hoch bei einer relativ kleinen Fläche. Während des Konzerts, das der Hauptpunkt des Besuchs in Weißenfels war,  durchführte Ricercar Consort Bach-Kantaten aus der höchsten Empore und konnte dadurch  einen ungewöhnlichen akustischen Eindruck erschaffen - Bachs Musik floss auf die Zuhörer vom Himmel. Man müßte sich dann gleich in Vorstellung zu einer anderen, sehr ähnlich gebaute Kapelle hinziehen, in welcher Bachs Kirchenkantaten tatsächlich erklangen, die aber bis heute nicht erhalten ist: die Schlosskapelle in Weimar, wegen ihrer akustischen Bedingungen  »Himmelsburg« genannt wurde.

Immerhin, am wichtigsten waren mir  während meiner Reise nach Leipzig Konnektivität und Kommunikation mit der Musik, wie immer. 









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